Italien
SILVIA GRIBAUDI
Graces
»Was ist Schönheit? Für Sie? Für mich? Vielleicht existiert Schönheit an sich gar nicht, sondern entsteht nur bei den Betrachtenden?«, fragt die italienische Tänzerin und Choreografin Silvia Gribaudi. Sie erinnert sich an Tanzveranstaltungen im Ort ihrer Kindheit: »Alle tanzten zusammen, Dicke, Dünne, Große, Kleine, ganz egal, einfach alle zusammen.« Diese Stimmung möchte sie mit ihrem Werk wiederfinden.
In »Graces« bezieht sie sich auf »Die drei Grazien« (1812-1817) von Antonio Canova. Seine Skulptur zeigt die drei Töchter des Zeus aus der griechischen Mythologie: Die Göttinnen der Anmut Euphrosyne, Aglaia und Thalia. Sie stehen für Frohsinn, Pracht und Wohlstand. Drei männliche Figuren betreten die Bühne, einen Raum und eine Zeit in der Schwebe zwischen Menschlichem und Abstraktem, ein Ort, wo Männliches und Weibliches ganz ohne Rollenzuschreibungen aufeinandertrifft und zum Rhythmus der Natur tanzt.
Silvia Gribaudi bezeichnet sich selbst gerne als »Autorin des Körpers«. Sie erhebt Unvollkommenheiten zu einer Kunstform, mit einem direkten, grausamen und einfühlsam-komischen Stil, der keine Grenzen zwischen Tanz, Theater und darstellender Kunst kennt. In den letzten zehn Jahren hat Silvia Gribaudi Geschlechterstereotypen, weibliche und männliche Identitäten und das Konzept der Virtuosität im Tanz und im täglichen Leben hinterfragt, jenseits von Klischees und Äußerlichkeiten.
Gribaudi sucht in »Graces« gemeinsam mit ihren drei männlichen Apollos nach neuen Ausdrucksformen und Bedeutungen für die Worte »Grazie« oder »Anmut«. Lustvoll stellen sie alles infrage, was gemeinhin mit dem Begriff Schönheit verbunden wird – ob in der klassischen Skulptur, im Zirkus oder im Ballett. Mit Humor und
Finesse schlagen sie eine Bresche für alles vermeintlich Nichtperfekte und Nichtvollkommene.